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Eine Geschichte über Erleuchtung

13/9/2022

Gern möchte ich eine buddhistische Geschichte mit Ihnen teilen. Sie handelt von einem jungen Mönch der auf dem Weg der Erleuchtung ist.

Als ich sie vor ein paar Jahren in dem Buch „Die Kuh, die weinte“ gelesen habe, musste ich herzlich lachen. Sie zeigt, wie schnell es geht, sich aus dem Konzept bringen zu lassen und wie schnell „Erleuchtung“ und Gelassenheit manchmal wieder verschwinden können.

"Ein junger japanischer Mönch, ganz darauf bedacht, noch in diesem Leben das Nirvana zu erreichen, meditierte allein auf einer einsamen Insel nahe einem Kloster auf dem Festland. Er wollte die Sache mit der Erleuchtung schon in jungen Jahren hinter sich bringen, um sich danach mit anderen Angelegenheiten zu beschäftigen.

Als der Klosterdiener mit seinem kleinen Ruderbötchen anlegte, um die wöchentliche Lieferung für den jungen Mann abzugeben, übergab ihm der Mönch eine Botschaft für den Abt des Klosters: Er wünschte sich teures Pergament, eine Feder und Tinte bester Qualität. Schließlich würde er bald sein drittes Jahr der Einsamkeit vollenden und der Abt sollte wissen, wie weit er es gebracht hat. 

Als er in den darauf folgenden Wochen seine gewünschte Lieferung bekam, machte er sich gleich ans Werk. Nach vielen Meditationen und Grübeleien malte er in schönster Schrift folgendes Gedicht auf das edle Pergament:

"Nach drei Jahren einsamer Meditation
können die vier weltlichen Winde
den gewissenhaften jungen Mönch
nicht länger rühren.“

Er war davon überzeugt, der weise alte Abt würde aus seinen Worten und der Sorgfalt, mit der sie gemalt wurden, erkennen, dass sein Schüler jetzt tatsächlich erleuchtet war. Nachdem er sein Werk abgegeben hatte, stellte er sich die Freude des Abtes beim Anblick dieses brillanten Gedichtes und der schönen Schrift vor. Er sah sein Werk schon in einem teuren Rahmen am Klostereingang hängen. Zweifellos würde man ihn jetzt bedrängen, selbst Abt zu werden. Es war ein herrliches Gefühl, es endlich geschafft zu haben!

Bei der nächsten Lieferung reichte der Klosterdiener dem jungen Mönch eine Pergamentrolle, die seiner ursprünglichen Nachricht ähnelte. Voller Aufregung entrollte der Mönch das Pergament. Als er darauf blickte, weiteten sich seine Augen und sein Gesicht wurde schneeweiß. Es war tatsächlich sein eigenes Pergament. Doch direkt neben die erste so wertvolle Zeile hatte der Abt mit rotem Kugelschreiber achtlos „Furz“ geschrieben. Rechts von der zweiten Zeile stand ein nächstes hingeschmiertes „Furz“. Ein weiterer nachlässiger „Furz“ wurde sogar auf die vornehmen Schriftzeichen der dritten Zeile gekritzelt. Das gleiche Schicksal ereilte der ebenso schön gestalteten vierten Zeile.

Das war zu viel! Nicht nur, weil der dumme, alte Abt Erleuchtung nicht einmal erkennen würde, wenn sie ihm frei Haus geliefert würde, er war auch noch so ungehobelt, dass er ein erlesenes Kunstwerk mit obszönen Graffiti verunstaltet hatte. Seine Reaktion war eine einzige Beleidigung der Kunst, der Tradition und der Wahrheit.

Die Augen des jungen Mönches wurden schmal vor Empörung und sein Gesicht färbte sich knallrot vor Zorn. Er verlangte vom Diener, ihn augenblicklich zum Abt zu rudern. Zum ersten Mal seit drei Jahren verließ der Mönch seine Insel. 

Wütend stürzte er in das Büro des Abtes, knallte das Pergament auf den Tisch und verlangte eine Erklärung. Der Abt hob das Pergament auf, und begann das Gedicht mit getragener Stimme vorzulesen. 

"Nach drei Jahren einsamer Meditation
können die vier weltlichen Winde

den gewissenhaften jungen Mönch
nicht länger rühren.“

Er legte das Pergament weg, musterte den jungen Mönch und fuhr fort: „Hmm … die vier weltlichen Winde können dich also nicht mehr rühren. Und doch haben dich vier kleine Fürze quer über den See geweht!“ :-)

(Quelle: Buch "Die Kuh, die weinte“ - Ajahn Brahm)
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Kategorien: Geschichten